Liebe Chöre,
heute ist der Sonntag „Misericordias Domini“, auch bekannt als „Hirtensonntag“, weil der Evangeliumstext die Metapher von Jesus als dem guten Hirten nutzt.
Mein Patenkind stellte beim Abendgebet von Psalm 23 (Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln…) im frühen Alter von drei oder vier Jahren demonstrativ das Mitbeten ein und erklärte: „Ich will kein Schaf sein!“ Jetzt habe ich ständig den Konflikt, wenn es um den „guten Hirten“ geht, dass ich auch denke, dass ich wirklich kein Schaf sein will. Aber gut behütet und umsorgt sein, das möchte ich schon.
Stephan Bernhardt hat einen geistlichen Gruß für den heutigen Tag geschrieben, den ich euch gerne weiterleite. Alternativ findet ihr die Andacht auch auf der Gemeindehomepage.
Impuls für den 2. Sonntag nach Ostern (26. April 2020) zu Johannes 10, 11-30
von Pastor Stephan Bernhardt
„Da ist immer jemand, der mich behütet und der mir hilft.“ Viele von uns haben vielleicht schon als Kinder in diesem Vertrauen ein Abendgebet gesprochen oder ein Gebet vor dem Essen. Ein guter Brauch, um Gott, der für uns sorgt, zu danken und ihn um das zu bitten, was uns auf dem Herzen liegt. Wenn wir es von Anfang an so kennengelernt haben, behalten wir es manchmal ein Leben lang bei. Es ist im Laufe der Jahre allerdings nicht immer leicht, diese Zuversicht aufrecht zu erhalten. Oft genug wünschen wir uns in schweren Phasen etwas zurück von der unbefangenen Hoffnung: Mein Vater im Himmel weiß, wie es weitergeht und er wird mir einen Weg zeigen.
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Dieses alte Gebet (Psalm 23) ist das Motto des heutigen Sonntags. Es ist manchen als Tauf- oder Konfirmationsspruch zugesagt worden. Zahlreiche bildliche Darstellungen fallen uns dazu ein.
Jesus bezeichnet sich auch als den „guten Hirten“. Er will damit sagen: „Ich setze mich für euch mit meinem Leben ein.“ Er gibt niemanden auf. Im übertragenen Sinne geht er uns nach, wenn wir uns verirren und verteidigt uns auch vor Angriffen. Das gilt im Hinblick auf unser ganzes Dasein. Da macht sich also jemand stark für uns. So wie ein guter Hirte zuverlässig auf die Tiere aufpasst, die ihm anvertraut sind. Das ist ein anschaulicher Vergleich, leicht zu begreifen.
Wenn Jesus der Hirte ist, sind wir dann wie Schafe? Manch einem mag das ehrenrührig vorkommen. Verbinden wir doch mit diesen Tieren eher Unselbständigkeit und Herdentrieb: Im Zweifel mit der Masse und alleine hilflos.
Einerseits trifft das ja tatsächlich bisweilen auf uns Menschen zu. Andererseits sind Schafe schlauer, als wir meist annehmen. Es ist erstaunlich, wie gut sie sich Orte und Wege einprägen können. Sie wissen genau, wo sie hingehören.
In der Runde des Erzählcafés in unserer Kirchengemeinde wurde von der Zeit berichtet, als noch zahlreiche Schafherden auf den Deichen dieser Insel weideten. Abends liefen die Tiere zurück in ihre Ställe. Die befanden sich zum Teil im Stadtgebiet von Norderney. Von ihrem Weg in den Stall ließen sie sich nie ablenken. Zielstrebig fanden sie immer ihr Zuhause.
Gerade in unruhigen Zeiten tut es auch uns gut, wenigstens zu wissen, woher wir kommen und wohin wir uns wenden müssen. Dann finden wir leichter innerlich Halt.
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Seit 3000 Jahren schon schöpfen Menschen Mut aus dieser Lebenshaltung. Sie verschließen sich damit nicht vor der Wirklichkeit. Im Gegenteil. Sie bestärken so sich und einander in ihrem Durchhaltevermögen. Denn sie führen sich im Gebet vor Augen: Gar nichts wird mir fehlen, weil ja Du, mein Gott, bei mir bist. So oft ich nicht verstehe, warum mir Ängste, Dunkelheiten und Verluste im Leben nicht erspart bleiben, mache ich mir klar: Ich gehe da nicht alleine durch. Du, mein Schöpfer bist bei mir. Du hast mir schließlich mein Leben geschenkt – in guter Absicht. (Stephan Bernhardt)
All we, like sheep
Es gibt im Messias von Händel einen Chor: „All we, like sheep, have gone astray, we have turned ev’ry one to his own way; and the Lord hath laid on Him the iniquitiy of us all.“ Der deutsche Text dieses Chores lautet: „Der Herde gleich, vom Hirten fern, so irrten wir zerstreut und es wallte jeder seinen eignen Weg; doch der Ew’ge warf auf ihn unser aller Missetat.“
Ich finde diesen Chor (abgesehen vom Schluss) musikalisch unglaublich witzig! Jede Stimme hat bei „astray“, also „zerstreut“, eine musikalische Linie zu singen, die so gar nicht zielgerichtet ist. Der Verlauf der Achtel hat zufällig wirkende Sprünge und Richtungsänderungen. Es geht von hoch nach tief und zurück, ganz so, als würde man wie ein Schaf auf einer Wiese herumlaufen und plötzlich die Richtung ändern – und das scheinbar ohne Grund.
Dann geht mal eine Stimme – oder ein Schaf – in eine Richtung los, ein zweites folgt. Dann verliert sich die gemeinsame Richtung. Die Stimmen entzweien sich wieder. Dazwischen singt der Chor in Blöcken, was fast wie ein Erzählerkommentar wirken kann.
Das ist meiner Meinung nach total absichtlich so komponiert. Denn bei dem Text „turned“, also „wallte“, komponiert Händel eine Sechzehntelfigur, in der sich die Sechzehntel in verschiedenen Variationen doch nur um sich selbst drehen. Und dazu der Text: „we have turned ev’ry one to his own way“. Ich könnte mir vorstellen, dass Händel durch die Musik ausdrücken will, dass wir nur glauben, dass wir unseren individuellen Weg gehen – und das mit hohem Aufwand, schnellem Tempo und großem Energieaufwand. In Wahrheit gehen wir nirgend wo hin, sondern drehen uns nur im Kreis.
Das Adagio (langsames Tempo) am Ende des Chores in Takt 76 ist dann ein abrupter Wechsel: Kein Herumirren mehr, keine sich im Kreis drehenden Figuren mehr. Es gibt eine klare Struktur. Wie Säulen stehen die Harmonien des Chores da: „Und der Herr hat unser aller Ungerechtigkeit auf IHN gelegt“, so eine mögliche wörtliche Übersetzung des Schlusses. Dieser Hinweis auf Jesus und seinen Opfertod am Kreuz verkomponiert Händel in Moll. Der Chor steht zuvor in F-Dur und Händel fügt einfach die entsprechenden Vorzeichen ein. Der geschäftige, fröhliche Klang bricht ab. Mit der neuen inhaltlichen Aussage wechselt das Tongeschlecht nach Moll und weist dadurch auf Jesus Leiden hin. Es gibt keine Auflösung nach Dur, keinen Hinweis auf die Auferstehung: Das f-Moll am Ende des Chores bleibt ohne eine Auflösung stehen.
Hier nun eine Aufnahme, bei der auch die Noten hinterlegt sind, so dass man die musiktheoretischen Hinweise direkt nachvollziehen kann. Viel Spaß beim Hören!
Natürlich freue ich mich, auch heute wieder ein von mir gespieltes Orgelstück zu Gehör geben zu können:
Die Aufnahme stammt vom 21. Februar 2019 aus der Kirche Stella Maris. Die Harm-Kirschner-Orgel war wegen Renovierungsarbeiten in der Inselkirche zum Zeitpunkt der Bewerbung eingehaust, so dass die Bewerbung in der katholischen Schwestergemeinde stattgefunden hat.
Und noch ein Hinweis zum Titel „Mozart Changes“: In der Jazz-Musik ist „Changes“ eine Bezeichnung für typische Akkordfolgen. Gárdonyi spielt damit im Titel auf die häufige Akkordverbindung der Quintfallsequenz an, die dem Thema von Mozart zugrunde liegt, dass er in seiner Komposition zitiert. Gárdonyi nimmt „Changes“ aber auch als Veränderung. So wiederholt er das Thema von Mozart und verwandelt es bei jedem Durchgang mehr und mehr zu einem Jazz-Stück.
Und so schließe ich mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen für einen schönen Sonntag,
Gudrun
…heute schreibe ich auch mal einen Kommentar. Sonst tue ich das ja nicht, weil ich denke, dass dann alle denken, ich schreibe das nur, weil …. Ihr wisst schon 😉.
Ich mag diesen Blog sehr. Er gibt uns als Chören in diesen Zeiten ein Zusammengehörigkeitsgefühl, ist unterhaltsam geschrieben und hält wunderbare „Sing-und-Üb-Aufgaben“ bereit, wenn man gar nicht mehr weiß, was man an einem Tag so machen soll. 🙈
Ich lese ja die meisten Blogbeiträge schon mal vorher als „Testleserin“ 😉. Manche Passagen sind mir zu musiktheoretisch, aber viele von euch kennen sich mit Quintfallsequenzen und all diesen Begriffen gut aus. Auch bei dem heutigen Sonntagsbeitrag 🐑 war ich erst skeptisch. Aber mit dem Video (mit Noten!) konnte ich alle Erklärungen gut verstehen – und fand es dann sogar interessant. Auch den Dvorak-Beitrag neulich fand ich gut.
Ich mag diesen Blog sehr. Ich mag auch total gerne die Kommentare von euch lesen. Noch viel viel viel lieber mag ich es aber, mit euch in Chorproben zu sitzen, zu singen, zu lachen und gemeinsam Zeit zu verbringen. Das vermisse ich wirklich sehr.
Bis dahin ihr lieben, bleibt alle gesund und fröhlich.
Liebe Grüße, Kirsten
Hallo Ihr Lieben.
Welch schöne Art den Sonntag in dieser Zeit zu begehen. 1000 Dank dafür.
Ich hatte durch den Beitrag eine wunderbare ‚Sonntagsstunde‘, qenn auch kein Ersatz für Chor und Singen. Lieben Gruß Anja