Liebe Kantorei,
Tobias Bade stellt Norderneyer Musikgruppen in der Badezeitung vor. Für die heutige Ausgabe hatte er mich um einen Artikel zur Kantorei gebeten. Ich bin bei der Erstellung des Artikels sehr toll unterstützt worden von Heike B*** und Eckard G***, Antje L*** aus dem Kirchenvorstand hat den Kontakt zu einem früheren Chorleiter, Martin Gabow, für mich hergestellt, Marc W*** hat auch Infos beigesteuert. Vielen Dank dafür!
Gerne stelle ich euch hier den Text, den ich der BZ eingereicht habe, ein. Viel Freude beim Lesen!
Viele Grüße, Gudrun
Die Kantorei Norderney
Jeden Donnerstagabend treffen sich die etwa 40 Sängerinnen und Sänger der Kantorei Norderney zum gemeinsamen Singen im Gemeindehaus in der Gartenstraße. Jedes Chormitglied hat seine Noten in der Hand und es wird mehrstimmig gesungen. Wer Noten lesen kann, ist klar im Vorteil. Aber fehlerfrei vom Blatt singen können die allerwenigsten. „Das macht nichts“, so die Chorleiterin Gudrun Fliegner, „Chorprobe heißt auch einfach, dass wir zusammen üben. Das macht auch schon viel Spaß!“
Der Chor kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Anfang der 70er Jahre, so haben langjährige Chormitglieder berichtet, hieß der Chor noch Kirchenchor. Er wurde von einer Frau Günther geleitet, die leider viel krank war. Als Vertretung ist dann die Frau des Pastors Olearius eingesprungen. 1974/1975 übernahm der Kirchenmusiker Herr Hoffmann den Chor. Im Januar 1979 kam als Nachfolger Martin Gadow auf die Insel. 1983 trat Joachim Winkler das Amt des Kantors auf der Insel an. Zusammen mit seiner Frau hat er dann 20 Jahre lang die Kirchenmusik auf der Insel geprägt. In dieser Zeit hat der Chor wohl auch seinen Namen von Kirchenchor in Kantorei geändert. Nach Winklers Pensionierung übernahm Marc Waskowiak 2003 die Stelle, bis er dem Ruf auf die A-Kantoren-Stelle in Emden folgte. In den Vakanzzeiten hat Eckhard Gunkel die Chorproben geleitet. Die Vakanz Anfang 2019 wurde von Sven Großkopf übernommen. Im August 2019 wechselte Gudrun Fliegner von einer A-Stelle in Hamburg nach Norderney und leitet nun die evangelische Kirchenmusik hier auf der Insel.
In dieser langen Zeit konnte die Kantorei neben etlichen Gottesdiensten und kleineren Konzerten auch immer wieder echte Highlights der klassischen Kirchenmusik einstudieren und aufführen. Mehrmals stand Bachs Weihnachtsoratorium auf dem Programm, aber auch schon etliches von Mozart: sein Requiem, die Krönungsmesse, die Missa brevis und die Vesperae solennes de confessore, aber auch seine große, zum Teil 8-stimmige, Messe in c-Moll. Haydns Schöpfung, das Requiem von Faure, Händels Johannespassion, Saint-Saens‘ Weihnachtsoratorium, Vivaldis Magnificat und Gloria, Schuberts Messe in G-Dur und Mendelssohns Paulus, das alles hat der Chor schon gesungen.
Dabei hat die Kantorei gerne die Partnerschaft mit Chören vom Festland gesucht. Die großen, orchesterbegleiteten Konzerte benötigen oft einen sehr stimmgewaltigen Chor, so dass zu den 40 Sängerinnen und Sängern der Kantorei gut noch ein zweiter Chor passt. Durch so eine Zusammenarbeit ergeben sich gleich zwei schöne Dinge: ein gemeinsamer Ausflug auf das Festland und ein zweites Konzert. Beides ist schön und macht viel Spaß.
So kam es in 2013 sogar zu einer Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie. Im 4. Satz erklingt die „Ode an die Freude“. Bei dem großen Chor, der dort benötigt wird, wurden die Norderneyer von Sängern aus Norden unterstützt. Dieses Erlebnis war ein absolutes Highlight für die Kantorei.
Was ist das Schöne am Singen im Chor? Manche Menschen sind einfach Sänger. Das Singen gehört zum Leben unbedingt dazu, ist Ausdruck von Gefühlen und purer Lebenslust. Es macht sie glücklich. Diese Menschen suchen sich einen Ort, um regelmäßig zu singen. Ob das dann eine Band, ein Shantychor oder eine Kantorei ist, liegt an der musikalischen Sozialisation, dem instrumentalen Hintergrund und dem sozialen Kontext. Oder ist schlicht Zufall! Wenn man dann aber Freunde in der Gruppe gefunden hat, was sich nahezu automatisch ergibt, weil man sich ja jede Woche sieht, und die Lieder mag, die gesungen werden, bleiben viele etliche Jahre mit ihrem Chor verbunden – manchmal ein Leben lang.
Eine Besonderheit an der Kantorei ist das regelmäßige Singen im Gottesdienst. Das ist von der Vorbereitung her nicht so aufwendig wie ein Konzert, macht aber viel Freude, denn in Akustik der Inselkirche klingt der Gesang gleich gut, und die zahlreichen Gottesdienstbesucher sind dankbare Zuhörer. Die andere Besonderheit ist das Repertoire: Man kann in der Kantorei Musik des ganzen letzten Jahrtausends und auch aktuelle Kompositionen singen.
Für das Weihnachtskonzert hat Kantorin Gudrun Fliegner das „Christmas Oratorio“ von Bob Chilcott ausgesucht, dass frisch komponiert im Oktober letzten Jahres erschienen ist.
Was heißt eigentlich „Kantorei“?
Der Name „Kantorei“ stammt aus dem 16. Jahrhundert und geht auf das lateinische „cantare“ (singen) zurück. Der Kantor ist ursprünglich der (Vor-)Sänger z.B. in der Kirche. Heute ist das ein Synonym für „hauptberuflicher Kirchenmusiker“. Als Frau ist man dann die Kantorin – ein Glück, denn in den Niederlanden ist frau dann die Cantrix, was grammatikalisch viel richtiger ist, aber doch sehr an Troubadix erinnert…
Bürgerliche Kantoreien gibt es seit der Reformation. „Hauptaufgabe dieser Kantoreien war das Singen im Gottesdienst. Daneben wurde bei den Hochzeiten und Beerdigungen der Mitglieder musiziert. In Not geratene Mitglieder wurden unterstützt. In kleineren Städten wurde im 16. Jahrhundert erst durch die Gründung einer Kantorei die Aufführung von mehrstimmiger Kirchenmusik möglich.“ (Wikipedia)
Durch die kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts ist der Begriff wieder eingeführt worden. Heute ist eine Kantorei ein Kirchenchor, der von einem hauptberuflichen, studierten Kirchenmusiker geleitet wird, und dessen Hauptaufgabe das Singen im Gottesdienst ist. Konzerte dürfen das Chorleben bereichern.
Man kann also nicht sagen, dass der Name „Kantorei“ modern ist. Muss er aber auch nicht sein, denn das Musizieren im Gottesdienst hat ja auch schon eine lange Tradition und ist älter als die Insel Norderney.
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